Die Besonderheiten von Adersleben
Franz Grohmann - Eine Wanderung von Wegeleben nach Adersleben, Teil 2 (1996)
zum Anfang - Teil 1
Von Wegeleben kommend haben wir die Bodebrücke passiert und wollen die Straße verlassen um auf dem Weg, der auf der Krone des Deiches verläuft, zu den ehemaligen Klosteranlagen in Adersleben wandern.
Das Gelände links und rechts des Weges wurde nach 1945 mehrfach stark verändert, am meisten durch das Auffüllen des Mühlgrabens in den 60er Jahren. Durch Regulierungsarbeiten am Flußlauf sowie an der Mündung des Goldbaches bekam das Terrain ein anderes Gesicht. Die zweite Hälfte unseres Weges verläuft direkt dort, wo einst das Bett des Mühlgrabens war. Links drüben mündet der Goldbach in die Bode, rechts grenzt der geschützte Park von Adersleben. Liebhaber solcher Anlagen sollten ihn im zeitigen Frühling besuchen, wenn Tausende Blüten ihn in ein großes Mosaik verwandeln. Diese Anlage erforderte eine ständige gärtnerische Betreuung, die seit 1945 nicht mehr gewährleistet werden kann, wenn auch von Zeit zu Zeit konzentrierte Einsätze erfolgen. Kenner werden bei einem Rundgang die Raritäten finden, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
Wann der Park angelegt worden ist, konnte auch der letzte Pächter, Herr Paul-Erich Meyer, mir bei seinem Besuch am 13. August 1992 nicht sagen. Eine eigenartige Vergangenheit hat die Künstliche Grotte im unteren Teil der Anlage: Bei geeignetem Wetter wurden hier evangel. Gottesdienste speziell für die Familie Meyer abgehalten. Unser Weg endet am Westtor der ehemaligen Klosterwirtschaft. Hier befindet sich die 1324 erstmals erbaute hölzerne Bodebrücke ("Schwarze Brücke"). Über diese gelangte man hinauf nach Gundersleben auf der Ferdinandshöhe, die vor hundert Jahren noch Windmühlenberg hieß, hinüber zum Siechenhof von Wegeleben, aber auch auf das weitläufige Wiesengelände entlang der Bode. Hier befindet sich auch noch die ehemalige Kolstermühle; die erste Anlage war ebenfalls 1324 entstanden. Das große steinerne Gebäude ist allerdings viel jünger, in ihm wurde bis um 1960 gemahlen. Nachdem 1873/74 in Wegeleben die Zuckerfabrik der Fa. W. Wiersdorff & Co. entstanden war, wurden Feldbahngleise von dort bis auf den Hof der Domäne Adersleben verlagt, und sie führten über diese Brücke und durch das Tor.
Das Zisterzienserinnenkloster war als Zweigstelle des Burchardiklosters Halberstadt im Jahre 1260 von Bischof Volrad hier am 6. Dezember dem heiligen Nikolaus geweiht worden. Es umfaßte nie mehr als 20 Professen, wurde jedoch unvorstellbar wohlhabend. Alle heute noch existierenden Gebäude entstanden erst im 18. Jahrhundert, da das Kolster nach seiner totalen Zerstörung im 30jähr. Krieg zunächst nur provisorisch rekonstruiert worden war. Eine Ausnahme bildet der Taubenturm neben der Kirche, der alle Kriegswirren überstanden hatte, aber 1958 durch eine leichtfertige Brandstiftung von Kindern zur Ruine wurde. An den meisten Gebäuden ist das Baujahr abzulesen, an manchen sind auch die Namen der "Bauherren" mit Wappenschmuck. Das jüngste Bauwerk ist das Torhaus im Osten der Anlage, das 1804 fertiggestellt wurde. Den Kern bildete natürlich das eigentliche Kloster mit der Kirche. Letztere entstand von 1753 bis 1755 neu im Stil des Spätbarock und mit Elementen des frühen Klassizismus auf dem Fundament ihrer etwas größeren Vorgängerin.
Die ältere war vermutlich im sogenannten Zisterzienserstil, einem abgewandelten gotischen Baustil, ohne Turm und ohne Krypta, errichtet wurden. Fragmente, die bei Bauarbeiten in den 80er Jahren gefunden wurden, deuten darauf hin. Typisch ist auch der "Dachreiter" an der Stelle eines Turmes. Bei diesem Sakralbau handelt es sich um eine einschiffige Kirche mit flachem Dach. Die Wände sind mit Pilastern gegliedert.
Das Hauptportal befindet sich in der Südwand, darüber als figürlicher Schmuck die Heiligen Nikolaus, Maria und Andreas sowie Wappen von Äbtissin und Probst. Im Innern sind besonders sehenswert die Orgel mit 24 Registern aus dem Jahre 1755 auf einer später eingekürzten Empore mit hübscher Intarsienbrüstung; die Kanzel und die Seitenaltäre von 1787 mit Figuren St. Nikolaus, Maria Magdalena, Jakobus, Bernhard und Josef sowie der seligen Humbelina; der Hochaltar von 1794 mit dem Altarbild "Marias Aufnahme in den Himmel" und darüber der hl. Dreifaltigkeit. Auch hier sind Figuren von Heiligen: Nikolaus, Andreas, Benedikt und Bernhard. Aus dem 15. Jahrhundert soll eine geschnitzte sitzende Madonna sein, aber vielleicht ist sie auch älter. Betonen die figürlichen Darstellungen und Baldachine noch deutlich den barocken Stil, so sind ihr schlichtes Weiß, die hellen, einfarbigen und wenig gegliederten Wände, der sehr sparsame Stuck an der Decke sowie einfache Simse und Kehlen sicher auf den Einfluß des Klassizismus zurückzuführen. Daß diese sich widersprechenden Baustile hier zu einer beeindruckenden Einheit verschmolzen wurden, muß ein sehr befähigter Baumeister geschafft haben, dessen Name - wie so oft - leider nicht genannt wurde. Bei der Renovierung 1990/91 wurden die genannten Eigenheiten besonders beachtet und hervorgehoben; sogar auf das Anbringen der Stationen des Leidensweges wurde verzichtet.
Nach Norden hin ist noch ein Teil des alten Kreuzganges erhalten. In dem Gebäude befinden sich jetzt neben der Sakristei ein Gemeinderaum sowie die Pfarrei und Wohnräume. Nach dem Musterbauplan von St. Gallen (820 u. Z.) befanden sich in diesem Flügel der Kapitelsaal (Versammlungsraum) und das Dormitorium (Schlafsaal). Ob das in Adersleben genau eingehalten wurde, ist nicht mehr nachprüfbar. Jedenfalls befand sich hier nach der Auflösung des Klosters bis 1939 die kathol. Schule und eine Lehrerwohnung neben dem Pfarramt und der Priesterwohnung. Der Friedhof lag unmittelbar davor, und er wurde 1840 Schulhof.
Der Kreuzgang bildete ein großes Viereck und gewährte den Zugang zu allen Gebäuden: Im Norden dann zum Refektorium (Speisesaal) und im Westen zu den Wirtschaftsräumen des Klosters (nicht des Klostergutes!). In der Verlängerung der Kirche nach Westen befand sich die Abtei, die baulich mit der Propstei (nach Süden) verbunden war.
Das als Propstei errichtete Bauwerk zählt zu den noch am besten erhaltenen Gebäuden. Ein großer Teil der hier erwähten Klosteranlagen wurde Stück für Stück nach 1965 wegen Baufälligkeit abgetragen. 1954 war in der ehem. Abtei eine Alltagskapelle eingerichtet worden, aber 1988 konnte sie nicht länger erhalten werden. Bereits 1952 war in einem Teil des Kreuzganges eine sehr hübsche Taufkapelle entstanden, die 1988 ebenfalls ernste Schäden an Deckengewölben aufwies. Hier kam jedoch die Hilfe noch zur rechten Zeit. Interessenten können in diesen Raum eine sehr alte Pieta betrachten; eine gute Schnitzarbeit, sachkundig konserviert und bemalt. Hier befindet sich auch eine große Gedenktafel, die von den Gläubigen anfangs nur für im II. Weltkrieg gefallene Angehörige geschaffen war. Wenn wir die Kirche wieder verlassen, sollten wir noch einmal das ehemalige Propsteigebäude anschauen, das bis heute ständig genutzt wurde. Nach 1809, dem Jahr der Aufhebung des Klosters, wurde es Wohnhaus der Pächter des Klostergutes; das war bis 1945 die Familie Meyer. Dann waren die Räume vollgestopft mit Flüchtlingen, Vertriebenen und Umsiedlern, schließlich wurde ein Kindergarten hier untergebracht und zeitweilig auch die Betriebsküche der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. (Zur Zeit der Bodenreform waren in Adersleben 748 ha = 2992 Morgen in den Bodenfonds überführt worden.) Die Wirtschaftsbauten sind besonders nach 1990 rasch verfallen; die Landesregierung hat die ihr zugefallene Zuständigkeit für die ehem. preußische Domäne bisher kaum spürbar wahrnehmen können.
Unser Rundgang führt nun bergan, zwischen den großen Scheunen hinauf zum dreigeschossigen Torhaus (1804). Das alte Natursteinpflaster macht das gehen nicht gerade leicht. Sobald wir das große Tor passiert haben, steht links ein langes Gebäude, das zur Hälfte für Wohnzwecke ausgebaut wurde. Hierbei handelt es sich um einen ehem. Schafstall. Aber gerade hier, an der Straße, stand bis 1525 die Dorfkirche des Ortes, die im Bauernkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut worden ist. Der Altar wurde ins Kloster gebracht und die Klosterkirche wurde nun auch Gemeindekirche. Nach der Reformation blieb Adersleben mit dem Kloster eine katholische Oase. Diese Kirche betreute die kath. gebliebenen Bewohner vom Harzrand bis nach Gröningen. An die Klosterzeit erinnern uns noch Flur- und Ortsbezeichnungen; so z. B. Weingarten, Klosterbreite, Klaus(ner)holz, Fasanerie, Klostermühle oder - brennerei. Letztere befand sich neben der Mühle und produzierte bis 1947. Der hohe Schornstein wurde danach von Störchen als Nistplatz angenommen und bis heute kontinuierlich genutzt. Auf der Dorfstraße wandern wir nach Wegeleben zurück. Links und rechts stehen ältere und jüngere Häuser, an deren Baustil wir die Perioden der Klosterzeit (rechts) und der Domäne (links) erkennen können. Den Abschluß findet die linke Reihe mit der Schnitterkaserne, die nach einer sehr langen Bauzeit (seit 1846) im jahre 1904 vollendet wurde. Dahinter folgt der kath. Friedhof, der seit 1840 besteht.
An das Ende des Klosters werden wir aber hier oben auch noch einmal erinnert: Eine Baulücke zwischen den Fachwerkhäusern auf der Westseite der Straße, unmittelbar neben dem traditionsreichen Gasthaus, gestattet einen Blick auf den geschützten Park und auf ein altes Denkmal. Es ist der Grabstein der letzten Äbtissin Humbelina Schleißner, die nach der Auflösung des Klosters (Dekret der königlichen westfälischen Regierung vom 13. Mai 1809) von ihrer Pension hier weiter gelebt hatte. Er wurde dort zur Erinnerung aufgestellt, von wo unser Auge über die alten Wirtschaftsgebäude hinweg ihre letzte Wirkungsstätte erfaßt: den schlanken Dachreiter der ehemaligen Klosterkirche St. Nikolaus.