Der lange Weg zum Immateriellen Kulturerbe

Markenzeichen Posaunenchor
(Provokante Behauptung im Jahr 2017: Viele Menschen außerhalb der Kirchen wissen wenig bis nichts mit Posaunenchören anzufangen.)



Zuerst ein kurzer Abris über das Wesen, die regionale Verbundenheit und die Geschichte der Posaunenchorbewegung


Wegeleben hat einen Posaunenchor, der seit über 80 Jahren stabil besteht und seine Arbeit im Dienst der evangelischen Glaubensgemeinschaft und seiner Kirchgemeinde versieht. In Hedersleben gib es ebenfalls Bläserfreunde, die im Posaunenchor Quedlinburg tätig sind. Auch Halberstadt hat seinen Posaunenchor. In den Neinstedter Anstalten besteht seit über 160 Jahren ein Posaunenchor in dem sich schon viele angehende Diakone musikalische Sporen verdienten.

Traditionell als "Posaunenchöre" bezeichnet man Blechbläserensembles, die es in ganz Deutschland gibt. Das Ettikett Posaunenchor verweist auf die Einbindung in die Kirchgemeinde. Die Ensembles setzten sich oft zusammen aus den Instrumenten Trompete, Flügelhorn, Tenorhorn, Waldhorn, Posaune und Tuba. Musikalisch enspricht das der Chor-Stimmlagen-Zusammensetzung aus Sopran, Alt, Tenor und Bass.

Der geistliche Auftrag der Posaunenchöre wird mit einem Satz nach Psalm 150,3a LUT "Lobet ihn mit Posaunen" beschrieben: Musizieren zum Lobe Gottes und den Menschen zur Freude. Dieser aus der Geschichte gewachsene Leitgedanke dient auch heute noch zu einer Abgrenzung zu den weltlichen Blasorchestern in ähnlicher Besetzung. Wikipedia

Die Ursprünge der evangelischen Posaunenchöre gehen auf die Herrenhuter Brüdergemeinde im Jahr 1738 zurück.

Der Schub setzte später ein:
Pastor Eduard Kuhlo (1822-1891) und sein Sohn, der "Posaunengeneral" und Reichsposaunenwart Johannes Kuhlo (1856-1941), gelten als die Väter der westfälischen Posaunenchöre. Von Westfalen aus breiteten sich die Posaunenchöre in ganz Deutschland aus. Organisatorisch gehörten sie in den ersten Jahrzehnten den evangelischen Jünglingsvereinen (CVJM) an, die im "Reichsverband der evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands" zusammengeschlossen waren.

1994 gelang es, einen einheitlichen Dachverband für alle 29 Posaunenwerke und -verbände im wiedervereinigten Deutschland zu gründen, den Evangelischen Posaunendienst in Deutschland e. V. (EPiD) mit rund 6.000 Posaunenchören und rund 117.000 Bläserinnen und Bläsern.

Somit sind unsere Posaunenchöre die wahrscheinlich größte Laienmusikbewegung.

Im Jahr 2008 fand vom 30. Mai bis zum 1. Juni unter dem Motto "Ohrenblickmal" in Leipzig der Deutsche Evangelische Posaunentag statt, das erste gesamtdeutsche Treffen von Bläserinnen und Bläsern seit über 50 Jahren. Über 16.000 Mitwirkende bildeten den größten Posaunenchor der Welt, der einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde erhielt.

Der 2. Deutsche Evangelische Posaunentag, der vom 3. bis zum 5. Juni 2016 unter dem Motto "Luft nach oben" in Dresden stattfand, überbot diesen Rekord mit insgesamt 17.541 angemeldeten Bläserinnen und Bläsern.

Eine ähnliche Laienmusikbewegung gibt es auf den britischen Inseln mit den Brass Bands der Heilsarmee. Dort setzt man oft alle möglichen Blechblasinstrumente mit Perinetventile ein in Kombination mit Schlagzeug.

In der Katholischen Kirche sind reine Posaunenchöre weniger verbreitet. Die Kirchmusiken übernehmen zahlreich gemischte Blasorchester bei Gottesdiensten, Prozessionen und Fronleichnam. Als Beispiel sei hier die MTU-Blasmusik erwähnt, die in der katholischen Pfarrei St. Nikolaus Adersleben eingebunden ist. Sowie die Bläser von St. Andreas in Halberstadt.

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Ev. Posaunenchöre sind als Immaterielles Kulturerbe in Deutschland anerkannt worden.
Die Deutsche UNESCO-Kommission hat Posaunenchöre im Dezember 2016 in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Es folgt ein Artikel von Rolf Bareis (Erschienen im Magazin für Bläserinnen und Bläser 2.17):

Posaunenchöre sind ein evangelisches Markenzeichen - unüberhörbar, unübersehbar bei Posaunentagen, Gottesdiensten, Diakonischem Blasen ... Und trotzdem wissen viele Menschen außerhalb der Kirchen wenig bis nichts mit Posaunenchören anzufangen. Und noch weniger wissen sie von der unglaublichen Vielfalt und tollen Arbeit in den Posaunenwerken. Diese Überlegungen waren sozusagen die Initialzündung für die Bewerbung als Immaterielles Kulturerbe Deutschlands.

Bei der Ratstagung 2015 in Berlin wurde die Idee zunächst vorgestellt. Ähnlich wie in manchen Freizeiten, Chorleitertreffen, in denen ich die Idee vorgestellt habe, war das Echo geteilt. Die Reaktionen reichten von "Erbe klingt nach Tod", "Sind wir antiquitiert?", "Wir wollen uns nicht auf die eigenen Schultern klopfen!" bis hin zu "Super, alle Welt soll erfahren, wie toll und was Posaunenchöre sind!"

Antragsfrist war bis Oktober. Bis dahin musste ein neunseitiger Antrag ausgefüllt werden. Auf kürzestem Raum mussten Geschichte, Selbstverständnis, Ziele, Zukunft, Projekte beschrieben werden. Außerdem braucht jeder Antrag zwei unabhängige Befürworter. Für den Antrag, Posaunenchöre ins Immaterielle Kulturerbe Deutschlands aufnehmen zu lassen, konnte der damalige Kultusminister von Baden-Württemberg, Andreas Stoch und der Leiter der sächsischen Bläserphilharmonie, Thomas Clamor, gewonnen werden. Andreas Stoch kommt aus meinem Wahlkreis. Ist zwar selbst nicht Bläser, aber mit dem Chorleiter meines Posaunenchores verwandt. Thomas Clamor hat seine ersten bläserischen Gehversuche im Posaunenchor unternommen. Später war er dann der bislang jüngste Solist (Trompete) der Berliner Philharmoniker.

Der Antrag, zusammen mit zehn Bildern aus der Posaunenarbeit und den Unterstützerbriefen ging dann an das Kultusministerium. Und nun begann das Warten. Im Februar 2016 wurde ich infomiert, dass im März eine unabhängige Expertenkommission im Kultusministerium darüber entscheiden wird, welche Anträge aus Bden Württemberg an das Sekretariat der Kultusministerkonferenz Deutschlands weitergeleitet werden.

Mitte April kam die erfreuliche Nachricht, dass unser Antrag weitergeleitet wurde. Damit war die erste Hürde auf der Ebene der Bundesländer genommen. In der Jury waren vertreten:

  • Dr. Cornelia Ewigleben, Professorin und Wissentschaftliche Direktorin des Landesmuseums Württemberg,
  • Dr. Reimnhard Johler, Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen, Professor und Wissentschaftlicher Leiter des institus für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde.
  • Dr. Werner Mezger, Geschäftsführer des Instituts für Volkskunde der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, Professor für Volkskunde/Europäische Ethnologie und Wissentschaftlicher Leiter des Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE Freiburg).

Im Schreiben der unabhängigen Kommission heißt es:

"Die Mitglieder dieses Gremiums sahen sich in Übereinstimmung mit den UNESCO-Richtlinien bei ihrer Entscheidung vor allem vier Kriterien verpflichtet. Um als immaterielles Kulturerbe listenfähig zu sein, muss eine kulturelle Ausdrucksform ihrer Ansicht nach folgende bedingungen erfüllen:

  • Hinreichend belegtes Alter und entsprechende Tradition als kulturelles "Erbe",
  • Herausragende kulturelle bzw. kulturgeschichtliche Bedeutung,
  • Ehrenamtliches Engagement der Funtkionsträger und Organisatoren ohne Gewinnerzielungsabsicht,
  • Regionaltypik und identitätsstiftende Wirkung für einen bestimmten geographischen Raum (besonders bei länderspezifischen Anträgen)."

Nun wurde der Antrag inklusive aller dazugehöriger Unterlagen an die Kultusministerkonferenz in Bonn weitergeleitet, von wo er an das bundesweite Expertenkomitee für das Immaterelle Kulturerbe (IKE) der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. (DUK) übermittelt wurde.

Dieses Gremium der DUK hat im Sommer 2016 sämtliche weitergeleitete Anträge noch einmal begutachtet und nach sachlich-objektiven Kriterien jeweils eine Auswahlempfehlung getroffen. Diese Empfehlungen wurden abschließend von der Kultusministerkonferenz im Benehmen mit der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BKM) bestätigt.

Und wieder begann das Warten. Nachdem ich im Sommer nichts mehr über den Fortgang unserer Bewerbung gehört habe, dachte ich schon, wir seien nicht mehr in Rennen. Da kam schließlich am 9. Dezember Post von der Kultusministerkonferenz und der Bescheid, dass Posaunenchöre nun offiziell Immaterielles Kulturerbe Deutschlands sind.

In diesem Schreiben hieß es als Begründung für die Aufnahme: "Das Expertenkomitee würdigt Ihren Vorschlag als inklusive Musiktradition mit breiter und vielfältiger Trägerschaft. Neben der generations- und geschlechterübergreifenden Mitwirkung ist auch die konfessionelle Öffnung positiv bewertet worden. Posaunenchöre haben eine identitätsstiftende und integrative Wirkung auf alle Beteiligten. Die Offenheit für neue Musikgenres und das breite Repertoire der Posaunenchöre tragen zu hoher Kontinuität und erfolgreicher Weitergabe dieser lebendigen kulturellen Praxis bei. ..."

Im zweiten Quartal 2017 wird die Aufnahme ins Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Deutschlands in Berlin in einem Festakt begangen werden.

Mit der Aufnahme ins Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Deutschlands erfährt der Dienst in den Posaunenchören nun eine Würdigung und Wahrnehmung auf höchster außerkirchlicher Ebene.

Hingewiesen werden kann in diesem Zusammenhang auf das "Handbuch Fördermaßnahmen im Anwendungsbereich des UNESCO-Übereinkommens Immaterielles Kulturerbe". Das Handbuch soll exemplarisch zeigen, welche Unterstützung gewährt und welche Ressourcen für Erhaltungsaktivitäten von verschiedenen stattlichen und nichtstaatlichen Stellen zur Verfügung gestellt werden können: http//www.unesco.de/kultur/2016/handbuch-mit-foerdermassnahmen-zur-erhaltung-immateriellen-kulturerbes-veroeffentlicht.html

Übrigens darf man Immaterielles Kulturerbe und Weltkulturerbe nicht verwechseln. Welterbe und Immaterielles Kulturerbe basieren auf zwei unterschiedlichen völkerrechtlichen Übereinkommen der UNESCO. Rolf Bareis

     




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